Vom kulturellen Reichtum im Kreis

Vest (art). In der Fremde sein Glück finden – und dann auswandern? Vor gut 50 Jahren folgten viele Menschen, vor allem aus der Türkei, dem Angebot in Deutschland zu arbeiten. Sie kamen als Gastarbeiter – und viele blieben, als neue Mitbürger. Was sie mitbrachten, war ihre Lebensart, ihre Kultur. Einer, der geblieben ist, heißt Ali Osman Oduncu. Wie der heute 74-Jährige seine deutschen Mitmenschen erlebt hat und was genau beim Freitagsgebet in der Marler Fatih-Moschee (siehe Foto) passiert, lesen Sie im Innenteil.

Vom Eisenbahnwaggon in die Fremde

Vor 51 Jahren stieg Ali Osman Oduncu vom Eisenbahnwaggon in die Fremde. Er kam aus der Türkei um in Deutschland zu arbeiten – erst in Ulm, später in Marl. Er verstand weder Sprache noch Sitten. Doch er biss sich durch, in diesem Land, das so ganz anders ist, als seine Heimat.

Deutschland warb Arbeiter aus dem Ausland an, Gastarbeiter – aber niemand war auf die Situation vorbereitet. Menschen wie Ali Osman Oduncu haben ganz andere Bedürfnisse: Sie legen Wert auf das Gebet, sie kleiden sich anders, essen anders und denken über Vieles anders.

Oduncu und seine Kollegen aßen in Deutschland monatelang Schweinefleisch – sie wussten es nicht besser. Später schlachteten mehrere Familien in Eigenregie, man ernährte sich aus der Kühltruhe. Gebetet wurde im Lagerraum eines Supermarktes, oder in Kirchenzimmern. „Die Menschen waren sehr hilfsbereit”, erinnert sich Oduncu. Drei Jahre später kam Sevim Oduncu, Ali Osmans Ehefrau, nach.

Jeder wird einen Platz finden

Januar 2012: Auf dem Vorhof der eindrucksvollen Fatih-Moschee in Brassert herrscht reges Treiben - das Freitagsgebet fängt gleich an. Viele Männer drängen in die Teestube nebenan, manche haben einen Bart, einige tragen farbige Gebetsmützen. Innen spielen Jungs Tischfußball, es wird getobt und gelacht. Erol Kesici greift nach seinem Teeglas. Er ist im Vorstand des Moschee-Vereins. „Neben religiösen Angelegenheiten”, erklärt er, „betreiben wir in der Moschee Jugend-, Frauen-, und Seniorenarbeit.” Außerdem gibt es Sportangebote. Offiziell gibt es 600 Mitglieder. Laut Kesici gehören aber rund 2500 Menschen zur aktiven Gemeinde. Gleich fängt das Gebet an. Die Menschen strömen in die Moschee, jeder wird einen Platz finden.

Ihren Platz haben die Oduncus in Deutschland mittlerweile auch gefunden. Obwohl es anfangs zu kuriosen Situationen kam. So wurden Ali Osman Oduncu auf der Zeche Zigaretten angeboten – er zahlte mit zehn Pfenning. Geduscht hat er in Unterhosen. Die deutsche Freizügigkeit fand Oduncu gewöhnungsbedürftig. Dennoch, den Schritt in ein anderes Land haben die Oduncus nie bereut.

Es stapeln sich Schuhe

Im Vorraum der Fatih Moschee stapeln sich die Schuhe, innen sitzen alle in Reihen. Oben wölbt sich die prächtige Kuppel. Die Fatih Moschee war eine der ersten in Deutschland mit Kuppel und Minarett. 1990 wurde sie in Marl-Hamm erbaut. Dann ruft der festlich gekleidete Hodscha das Freitagsgebet aus. Sechs Gebete gibt’s am Tag. Einmal in der Woche soll das Gebet in der Gemeindschaft verrichtet werden. Genau das machen die Gläubigen jetzt – jeder für sich, auf seine Weise. Schließlich folgt die Predigt.

Gibt es eigentlich einen Tag der offenen Tür? Erol Kesici erklärt: „Offiziell machen wir das am Tag der deutschen Einheit.” Und dann schmunzelt er: „Eigentlich ist bei uns immer Tag der offenen Tür”. Und das, sagt er, will er als Einladung verstanden wissen – und zwar an alle Religionen.

Montag, 16. Januar 2012, 8:52 • Verfasst in Vest

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