Wenn der Griff zum Messer zum Überleben gehört

Jeden Montag macht sich Sabrina W. (Name geändert, Name der Red. bekannt) auf den Weg izu ihrer Selbsthilfegruppe. Sabrina ist Borderlinerin. Borderline bedeutet Grenzlinie. Dieser Begriff geht darauf zurück, dass die Persönlichkeitsstörung auf der Grenze zwischen Psychose und Neurose gesehen wurde. Dies scheint aber in der Wissenschaft inzwischen streitig zu sein. Es ist davon auszugehen, dass in Deutschland etwa zwei Prozent der Bevölkerung, das sind etwa 1,6 Millionen Menschen, an dieser Störung leiden. Borderliner haben eine instabile Persönlichkeit, kennen sich oft selbst nicht und sind oftmals in der Partnerschaft unerträglich. „Das geht so weit, dass man seine unbändige Wut am Partner auslässt, obwohl der für diese überhaupt nichts kann“, weiß Sabrina. Ebenso ist das Distanz-Nähe-Spiel bei den Patienten extrem. Sie wollen dem Partner so nah sein wie möglich, aber wollen es nicht. „Lieb mich, aber komm mir nicht zu nah“, nennt die 23-Jährige dieses Verhalten. Auch die Auswirkungen der Erkrankung sind sehr unterschiedlich. Am bekanntesten ist das sogenannte Ritzen. Auch Sabrina gehört zu den Menschen, die sich die Unterarme aufschneiden, wenn die Leere überhand nimmt. „Man spürt sich nicht mehr, es gibt da diese ungeheure Leere. Und um diese Leere aufzufüllen, muss der Schmerz her.“ Da ist dann der Griff zum Messer oder zur Rasierklinge nicht weit. In diesen Momenten ist der Borderliner in der Lage, sich selbst zu spüren. Aber nicht nur das Ritzen gehört zum Krankheitsbild. Sabrina: „Jedes selbstverletzende oder selbstgefährdende Verhalten kann zum Krankheitsbild gehören.“ Als Beispiele seien genannt: zu schnelles Autofahren, riskanter Sex oder das Klettern ohne Seil - es gibt viele Facetten.

Das Borderline-Syndrom tritt meist schon in der Kindheit auf und verschlimmert sich in der Jugend. Erst ab dem dritten oder vierten Lebensjahrzehnt stabilisieren sich die Betroffenen, doch die Persönlichkeitsstörung bleibt.

Sabrina befindet sich auf dem Weg der Besserung. „Ende 2006 war ich nach einem traumatischen Erlebnis im Sommer so schlecht drauf und dazu noch depressiv, dass ich meine Ausbildung abbrechen musste.“ Sie wies sich zum ersten Mal freiwillig in die Psychiatrie ein. Seit zwei Jahren besucht sie die Selbsthilfegruppe. Doch blieb ihr ein zweiter Aufenthalt in stationärer Behandlung nicht erspart. Mitte 2009 ließ sie sich ein zweites Mal einweisen – in Dortmund. Zuvor hatte sie sich erkundigt und schlau gemacht, welche Einrichtung für sie in Frage kommt. „Ich habe schon lange nicht mehr geritzt, so dass die Arme weitgehend verheilt sind", freut sie sich. „Zum Glück bin ich keine Tief-Ritzerin.“ Kommt der Druck, benutzt sie sogenannte Skills, um nicht in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. „Ich versuche zu entspannen und beispielsweise bei einem Spaziergang die Kälte auf meinem Gesicht zu spüren.“

Auch ihr privates Glück hat sie gefunden. Hier muss sie ebenfalls höllisch aufpassen, alte Verhaltensweisen zu vermeiden und genau hinzusehen, auf wen oder was sie gerade wütend ist.

Frischverliebt und in einer berufsvorbereitenden Maßnahme für psychisch Kranke ist Sabrina W. auf dem Weg der Besserung.

Die SHG ist für Erwachsene ab 21 Jahre offen.

Ansprechpartner: (0175) 3773205 oder (0170) 9770145.

Samstag, 6. Februar 2010, 14:59 • Verfasst in Vest

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