Familie kann den kranken Sohn nicht mehr abholen

FOTO: Mengedoht

Recklinghausen (Red.) „Demnächst können wir den Sohn nicht mehr mit dem Auto beim Vater abholen, wenn mal etwas Dringendes ist. Mutter Michaela S. und Stiefvater Olaf P. (Namen geändert) sind ratlos – die neue Umweltzone, die am 1. Oktober in Kraft tritt, macht ihnen ganz schön zu schaffen. Der alte Käfer ist ihr Alltagsfahrzeug. 30 Jahre alt wird er zwar im November, für ein H-Kennzeichen – mit dem er auch in die Umweltzonen dürfte – bräuchte es aber auch noch ein entsprechendes Gutachten. „Und ob wir das in dem Zustand, in dem unser Krabbeltier ist, bekommen, ist zweifelhaft“, weiß Olaf P. Ein nachrüstbarer G-Kat bringt dem einst meistgebauten Auto der Welt auch keine Plakette.

In der Festspielstadt werden der südliche Teil der Wälle, die Castroper Straße und ein Teil der Bochumer Straße Umweltzone und dürfen dann nur noch mit Feinstaubplakette befahren werden. „Wenn aber mal etwa Dringendes, etwa Medizinisches ist, müssen wir doch schnell da sein“, klagt Michaela S. „Zum Glück ist wenigstens der nördliche Teil des Walls nicht auch Umweltzone, sonst kämen wir auch nicht mehr zu Finanzamt, Post und Bahnhof“, sind die Käferfahrer etwas erleichtert. „Aber wie wir ohne Riesenumwege zu meiner kranken Oma an der Bochumer Straße kommen sollen, weiß ich noch nicht“, rätselt Michaela S. noch. Und Olaf P. überlegt, wie er seine Termine mit Rechner und Fototasche im Gepäck erreichen soll.

Verwandte besuchen, auch wenn sie krank sind, weite Umwege – ob das Gründe für eine Ausnahmegenehmigung sind, weiß Gerd Temme noch nicht genau. „Das ist teilweise Auslegungssache, aber vieles ist klar außen vor“, erklärt der Sachgebietsleiter für Verkehrsangelegenheiten beim städtischen Ordnungsamt. „Am Montag kommt ein Flugblatt von uns heraus, in dem die Bürger informiert werden und auch an den Infos im Internet wird gearbeitet“, kündigt Temme an. Immerhin, das Ministerium habe nun eine sechswöchige Schonfrist zugelassen – „das gibt uns auch etwas mehr Zeit“. Denn einige der nötigen Schilder kamen auch erst „in letzter Minute“ am Donnerstag und mussten schnell im Stadtgebiet aufgehangen werden.

Autos mit H-Kennzeichen sind von der Plakettenfrist befreit, Ausnahmegenehmigungen gibt es für Handwerker und Gewerbetreibende sowie Anwohner. Wer sein Auto nachrüsten kann, muss dieses tun, will er noch in die Umweltzonen fahren, erläutert Temme. Wenn er eine Bescheinigung einer Fachwerkstatt oder des Herstellers vorweisen kann, dass eine Nachrüstung nicht möglich ist, kann es unter Umständen befristete Ausnahmegenehmigungen geben. Die muss man aber natürlich in jeder Stadt extra beantragen. Der ADAC kritisiert, dass diese zeitlich begrenzte Fahrerlaubnis zwischen fünf und 1.000 Euro an Gebühren kostet: „Das ist entschieden zu hoch und trifft vor allem sozial Schwache, die nicht kurzfristig ein neueres Fahrzeug erwerben können.“ 

„Etwa 50 mit einem alten Auto haben sich bei uns schon gemeldet, die als Anwohner oder aus anderen Gründen betroffen sind und eine Ausnahmegenehmigung wollen“, berichtet Temme. „Wir prüfen jeden einzelnen Fall“, verspricht er.

Ganz glücklich mit den neuen Regelungen ist auch er nicht: „Es sind ja nur ein paar einzelne Straßen und keine Zonen. Und wenn dann Betroffene noch große Umwege fahren müssen, was soll das an Luftreinhaltung bringen?“ Zudem seien die Autobahnen ja auch noch von den Fahrverboten ausgenommen. „Aber wir als Ordnungsbehörde müssen das ausführen.“ 6.000 Euro haben die Stadt allein die 178 Schilder gekostet – ruhrgebietsweit sollen es 400.000 Euro sein. Dazu kommen natürlich noch Personalkosten, denn die Schilder stellen sich ja nicht von alleine auf.

„Das kommt wirklich einer Enteignung und teilweisem Berufsverbot gleich“, wettert Olaf P. über die „Dummweltzonen“. Schließlich erzeugen Benzinmotoren im Gegensatz zum Diesel praktisch keinen Feinstaub – und werden somit für eine Verschmutzung bestraft, die sie überhaupt nicht verursachen.

„Fahrverbote sind keine Antwort auf die Feinstaubproblematik“, meint auch der ADAC. Der Vizepräsident für Verkehr, Ulrich Klaus Becker: „Sie stellen lediglich einen unangemessenen und unverhältnismäßig starken Eingriff in die Mobilität der Bürger dar und werden deshalb von uns abgelehnt.“ Außerdem verursachten sie einen enormen Verwaltungsaufwand.

„Tatsache ist, dass der Pkw-Verkehr nachweislich nur zu rund fünf Prozent zur Feinstaubbelastung beiträgt. Andere Quellen außerhalb des Verkehrsbereichs wie Industrie und Kraftwerke verursachen den Großteil der Partikel und müssen vorrangig bei den Maßnahmen berücksichtigt werden“, fordert der ADAC. Ein im ADAC-Auftrag erstelltes Gutachten belegt, dass „der Effekt von Umweltzonen und der damit einhergehenden Fahrverbote gleich Null ist“. Der Autofahrerverband wehrt sich daher mit einer Reihe von Klagen gegen die Umweltzonen in ihrer jetzigen Form.

Der Verband der Automobilindustrie hält eine regelmäßige Straßenreinigung in den Hauptverkehrsstraßen für effizienter als die Lösung des Feinstaub-Problems durch die Einführung von Dieselrußfiltern. Auch die GTÜ (Gesellschaft für technische Überwachung) in Stuttgart zweifelt die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der Umweltzonen an.

Nach Angaben des ADAC sind in Deutschland rund sieben Millionen Fahrzeuge von den Fahrverboten in Umweltzonen betroffen. Der Verband hält den Einsatz von Rußpartikelfiltern, grünen Wellen und intelligenten Verkehrsleitsysteme sowie eine vernünftige Stadtplanung für bessere Maßnahmen gegen Feinstaub.

Vielleicht sollten einfach die Straßen öfter gefegt werden, um die EU-Richtlinie zu erfüllen. So setzt man die Vorgaben nämlich in Spanien um.

Samstag, 27. September 2008, 13:28 • Verfasst in Vest

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