Behinderte: Vernunft siegt über Euro-Bürokratie

Kreis (eib). Der Bus kommt und Stephan Jasper kann einsteigen – seine Frau muss warten. Sie darf erst mit dem nächsten Bus fahren, eine halbe Stunde später. Lästig, zeitaufwändig, anstrengend und eigentlich diskriminierend. Denn Stephan Jasper ist wie seine Frau auf den Rollstuhl angewiesen. Und eine EU-Verordnung verhindert die gemeinsame Fahrt. Weil nämlich alles ganz genau festgelegt wird und weil Deutschland diese Anweisung ganz genau genommen hat – bis vor wenigen Tagen.

Der Marler Stephan Jasper hat es nicht leicht. Zu oft wird nicht daran gedacht, Türen und Wege behindertengerecht zu halten. Diesmal macht ihm aber genau das Gegenteil das Leben schwer: Eine EU-Verordnung, die Rollstuhlfahrern einen sicheren Platz in öffentlichen Verkehrsbussen verschaffen soll.

Bislang fanden zwei Rollstühle quer zur Fahrtrichtung Platz in den Bussen der Vestischen, erläuterte kürzlich deren Pressesprecher vor dem Marler Sozialausschuss. Nach der EU-Norm muss der Rollstuhl in Fahrtrichtung stehen – nun passt nur noch einer in den Bus. Die Folgen bekommt Stephan Jasper zu spüren: Wenn er mit seiner Frau unterwegs ist, wird der Aufwand unerträglich groß.

Ein Trick, der bislang half

Immerhin konnte ihm die Vestische eine Lösung anbieten. Denn von der Neuregelung sind nur die neuen Busse ab Februar 2005 betroffen. Das sind 136 von 230 vorhandenen. Wenn die Behinderten gemeinsam fahren wollen und das 24 Stunden vorher bei der Vestischen ankündigen, dann schickt die einfach einen „alten“ Bus vorbei. Ein Trick, der sich allerdings im Laufe der Jahre auswachsen wird.

Andere Lösungen waren nicht in Sicht: Mehr Plätze für Behinderte bedeuten gleichzeitig weniger Sitzplätze. Gerade das aber wird für Schüler oder für ältere Menschen gefordert. Und was passiert, wenn neben einem Rollstuhlfahrer noch ein Kinderwagen in den Bus soll? „Das wollen wir lieber nicht problematisieren“, warnte der Vestische Sprecher.

Dass das Mitfahr-Problem überhaupt ein solches wurde, ist die Folge eines Streites mit einem Bottroper Partnerunternehmen. Früher hatte die Vestische die EU-Anordnung einfach „übersehen“ und der Praxis den Vorrang gegeben. Das ist seit dem Streit nicht mehr möglich.

Dafür gab es Probleme bei den Betroffenen. Die hatten sich – richtigerweise – gleich an die Politik gewandt, um an dieser Stelle für Abhilfe zu sorgen. Und die hatten sich zügiger zu einer Änderung durchgerungen als es das schlechte Klischee von einer lahmen Europa-Bürokratie vermuten läßt.

Auch die Vestische wurde überrascht von der Ankündigung, dass im Sommer die entsprechende Verordnung geändert wird und schon jetzt danach verfahren werden soll. Es dürfen also „weitere Rollstuhlnutzer dann mitgenommen werden dürfen, wenn ausreichende Stellflächen für diese vorhanden sind“.

Erleichterung bei der Vestischen. „Die Vernunft hat sich doch durchgesetzt“, so Norbert Konegen.

Stephan Jasper kann wieder gemeinsam mit seiner Frau ausgehen. Und sie müssen nicht mehr bei Wind und Wetter an der Haltestelle aufeinander warten.

Samstag, 29. März 2008, 15:27 • Verfasst in Vest

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