Ungehemmt und unbeschwert
Marl. Es war eine Woche nach Ostern und noch nie habe Marl so schön ausgesehen wie an diesem Tag, hieß es in den Zeitungen: Vor 75 Jahren, am 20. April 1936 erhielt Marl die Stadtrechte verliehen. Der Jubel im neuen „Stadtrat“ war so groß, dass spontan Adolf Hitler (der an diesem Tag 47 wurde) die Ehrenbürgerschaft Marls angetragen wurde.
Erst drei Monate zuvor, am 21. Januar 1936 hatte der Gemeinderat den Antrag auf die Bezeichnung „Stadt“ beschlossen. Schnell musste noch ein Wappen entworfen werden, ein Auftrag, der innerhalb der Verwaltung mit den Farben Schwarz und Silber ausgeführt wurde.
Der 20. April war nur einer von drei Feiern. Denn die Urkunde war noch nicht fertig, sie wurde am 12. Juni 1936 im großen Saal der Stadtschänke auf der Victoriastraße 22 feierlich übergeben. Und die Bürger konnten noch einmal im Herbst eine einwöchige Festwoche mitmachen. Mit Theateraufführungen (Judith von Loe), mit Sportkämpfen, Wertungssingen, Ehrungen und vielen pathetischen Reden.
Die gab es natürlich auch schon am 20. April. In ihnen finden sich auch bemerkenswerte Hinweise auf die Themen, die auch nach 75 Jahren noch nicht gelöst sind und in denen sich Marl so deutlich von den Ruhrgebietsstädten unterscheidet.
Landrat Dr. Otto Ehrenberger, der als erster sprach, ging auf die Bedenken von „Persönlichkeiten – die allerdings nicht unmittelbar an der Verleihung der Stadtrechte beteiligt sind“ ein, dass Marl nicht das geeignete Gemeinwesen sei, das den Namen Stadt tragen dürfe. „Gott sei Dank ist es aber so, dass in diesem Gemeinwesen verschiedene Kernpunkte vorhanden sind, um die sich Einrichtungen städtischer Art gruppieren. Wir brauchen aber nicht zu befürchten, dass sich in Marl wiederholt, was man im inneren Ruhrgebiet vorfindet, nämlich dass eine Zusammenballung auf einem engen Raum entsteht und damit der Verlust des Gefühls, ein freier Mensch auf dieser Erde zu sein.“
Diese großzügige Anordnung (die viele Fremde und Bürger noch heute irritiert) lobte auf der Sitzung Amtsbürgermeister Dr. Friedrich Wilhelm Willeke als Vorteil der Stadt, „ungehemmt von einengenden Stadtmauern und unbeschwert durch sanierungsbedürftige Altstadtviertel sich dem planmäßen Ausbau der Stadt nach modernen Grundsätzen, nach den Prinzipen gesunder Wohnweise hingeben zu können“.
Am Ende der redenreichen Sitzung kündigte der Bürgermeister an, alles Notwendige für einen Ehrenbürgerbrief Hitlers zu veranlassen. Dann spielte die Feuerwehrkapelle vor dem Saal das Horst-Wessel- und das Deutschlandlied.
Damit waren das „größte Dorf Preußens“ (wie über die 33.000 Einwohner starke Gemeinde gespottet wurde) zur Stadt geworden.
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