Deutsche Sprache Pflicht für alle an unseren Schulen?

“Multikulti” im Kindergarten Abenteuerland – sollen alle Deutsch sprechen müssen? FOTO: Mengedoht

Vest (mc/om). Der Aufschrei vor eineinhalb Jahren war bundesweit beachtlich, von „Zwangsgermanisierung“ und mehr die Rede. Die Berliner Herbert-Hoover-Realschule hatte eine Regelung eingeführt, dass auch auf dem Schulhof nur Deutsch als Sprache zugelassen ist – bei einem Ausländeranteil von rund 90 Prozent. Jetzt gab es eine Bilanz: Deutlich weniger Gewalt und „die mündliche Sprachkompetenz fast aller Schüler hat sich sehr verbessert“, erklärte Schulleiterin Jutta Steinkamp.

Übrigens gilt die Regelung für Schüler, Eltern und auch Lehrer und ist nur ein Teil eines umfassenden Verhaltenskodexes, der auch Punkte wie gewaltfreies, höfliches und respektvolles Verhalten aller untereinander enthält – und der alle zugestimmt haben. Die verschiedenen Nationalitäten und Sprachen hätten früher oft zu Missverständnissen und Konflikten geführt, berichtet Schulsprecher Nezir Asanovic, serbischstämmig. „Jetzt sind unsere Konfliktlotsen arbeitslos!“

Kommt das Modell für das Vest Recklinghausen in Frage? Die Fraktion der Unabhängigen Bürger-Partei (UBP) in Herten fordert das jedenfalls. Die Stadtverwaltung solle „sicherstellen, dass an den Schulen und kommunalen Kindegärten die deutsche Sprache als einzige Umgangssprache genutzt wird“, erklärt Fraktionsvorsitzender Borsu Alinaghi in dem Antrag. „Wer in Deutschland kaum Deutsch spricht, minimiert seine Bildungschancen und die seiner Kinder.“ Man verhagele sich sonst etwa selbst die Chance auf einen Ausbildungsplatz.

Die UBP schlägt vor, das Projekt an einem Kindergarten, einer Grund- und einer Hauptschule zu testen. Die Erkenntnisse sollen dann genutzt werden, dies auf alle Kindergärten und Schulen zu übertragen.

Kann das Sinn machen? Ist es „Deutschtümelei“, Stimmenfang ganz rechts oder vielleicht wirklich ein sinnvoller Ansatz für eine bessere Integration von Migranten? Macht es überall Sinn oder nur da, wo ein extrem hoher Ausländeranteil herrscht? Nachdem das offenkundige Ergebnis in Berlin viele überrascht hat, hat das Sonntagsblatt sich umgehört.

„Wir leben in Deutschland, sollten die Sprache lernen und auch Deutsch sprechen“, erklärt unumwunden Ahmet Belüren, Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs und der Kuba-Moschee in Marl. „Der Zwang ist meiner Meinung nach nicht vertretbar, aber vielleicht könnte man es als freiwillige Maßnahme einführen?“

„Ohne Sprache gibt es keine Lösungen“, weiß Ingrid Hamm, ehemalige Erzieherin und langjährige Leiterin der Sprachfördergruppe des Hertener Awo-Kindergartens Abenteuerland. Vor allem Kinder bildungsferner Eltern hätten große Schwierigkeiten, bei gebildeten Eltern sei es besser – gleich welcher Nationalität. „In Berlin wird den Eltern klargemacht, dass es ohne Sprache keine Bildung gibt.“ Das fordere die Eltern und das sei bislang vielleicht oft zu kurz gekommen. „Man hat immer nur gefördert, aber nie gefordert.“

Petra Ridder, Leiterin des Abenteuerland-Kindergartens, erzählt, wie sie kürzlich im Flugzeug einen türkischstämmigen jungen Mann kennengelernt habe, der akzentfrei deutsch sprach. „Der hatte gar keine andere Möglichkeit, als die Sprache als Kind schnell zu lernen, denn er war auf dem Land aufgewachsen, wo fast niemand sonst türkisch sprach.“ Ohne ein oft selbst aufgebautes „Ghetto“ einer Gruppe von Ausländern gebe es das Problem also gar nicht.

In ihrem Kindergarten hat es sieben oder acht Nationalitäten, „aber bisher wurden alle bedient. Wenn man jetzt plötzlich etwas fordert, muss man vielleicht erstmal einen Schalter vor allem bei den Eltern umlegen“, bringt sie Verständnis für die „Zwangsmaßnahme“ auf, der ja bei dem Modell in Berlin auch alle Schüler zugestimmt haben. Obwohl der Ausländeranteil im „Abenteuerland“ gar nicht so hoch sei, sei jedenfalls viel Sprachförderunterricht nötig.

Die Direktorin der Grundschule an der Recklinghäuser Hohenzollernstraße, Hiltrud Wöhrmann, stellt bei ihrer Arbeit fest, „dass die Kindertageseinrichtungen sehr gute Arbeit leisten. Die Kinder kommen mit besseren Sprachkompetenzen.“ Natürlich brauche es aber weiterhin Sprachförderung.

Oberstufenleiter Martin Marks von der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule Recklinghausen hält wenig von einer Reglementierung: „Natürlich ist auch bei uns Umgangssprache Deutsch, aber wenn Menschen mit gleicher Stammsprache aufeinander treffen, unterhalten sie sich natürlich in ihrer Herkunftsprache.“ Das sei ein „ganz natürliches menschliches Verhalten.“ Aus seiner Kenntnis des englischsprachigen Raums weiß er, dass Menschen auch nach 100 Jahren Einwanderung ihre Herkunftsprache miteinander sprechen. „Natürlich halten wir dazu an, Deutsch zu sprechen. Grundsätzlich haben wir aber kein Problem.“

Schon seit Jahren umgesetzt

Dass private Dinge gern in der Herkunftsprache besprochen werden, ist für die Lehrerin Petra Gepp kein Problem. Sie selbst hat eine Weile in Frankreich gelebt und mit ihren deutschen Kollegen auch Deutsch gesprochen. Sie weiß aber auch aus ihrer Erfahrung, „dass es eine Menge gutes Sprachtraining mit sich bringt, wenn die Fremdsprache auch untereinander gesprochen wird. Insofern finde ich den Vorschlag – wenn auch mit Bauchschmerzen – gut.“

Ihr Ehemann Thomas Gepp unterrichtet Französisch und Geschichte an der Overberg-Realschule. Hier wird der Antrag schon seit Jahren umgesetzt und die Schule hat gute Erfahrungen damit gemacht.

Auch der stellvertretende Leiter der Recklinghäuser Maristen-Schule, Michael Lammers, hält ein solches Vorgehen für eine gelingende Integration für sinnvoll: „Soviel Deutsch wie möglich ist ein sinnvoller Weg. Für mich stellt sich allerdings die Frage nach der Kontrolle. Wie soll das aussehen?“

Und Sie, liebe Leser? Was halten Sie von der Idee? Schreiben Sie uns Ihre Meinung und Erfahrungen: E-Mail redaktion@Sonntagsblatt-im-Vest.de, oder per Post: Sonntagsblatt, Sickingmühler Straße 99, 45772 Marl.

Samstag, 20. Juni 2009, 14:57 • Verfasst in Vest

1 Kommentar:

Webnews.de schrieb,

Trackback • 21. Juni 2009 @ 10:42

„Zwangsgermanisierung“ oder Integration?…

Der Aufschrei vor eineinhalb Jahren war bundesweit beachtlich, von „Zwangsgermanisierung“ und me…


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