Ein bisschen Hollywood in der Chemiestadt

Marl. Als Heimat des Grimme-Institutes hat die Stadt Marl natürlich schon jede Menge Prominenz aus der Film- und Fernsehwelt gesehen. Dass aber – wie zur Zeit – ein Film in der Chemiestadt gedreht wird, das passiert nicht alle Tage. Der Autor und Regisseur, Andi Rogenhagen, ist ein Kind der Stadt – bis zu seinem Abitur hat er hier gelebt. Der Film heißt „Johnny Kühlkissen“ und ist einen Familienkomödie.

Darin steht die 17-jährige Eva (Jasna Fritzi Bauer) im Mittelpunkt. Sie leidet unter dem „Tourette-Syndrom“ (siehe Info-Kasten).Da sie jedoch mit ihren Eigenarten von den Familienmitgliedern voll akzeptiert wird, ist sie nicht besonders unglücklich, meidet jedoch den Kontakt zur Außenwelt. (In der Rolle des „durchgeknallten“ Onkel Bernie ist der Schweizer Schauspieler Stefan Kurt (Adolf-Grimme-Preise für „Der Schattenmann“ und „Gegen Ende der Nacht“) zu sehen; auch die durch „Keinohrhasen“ bekannte Nora Tschirner tritt als Gast auf.) Erst als der Vater (Waldemar Kobus) arbeitslos wird, fasst Eva den Entschluss, ihr Schneckenhaus zu verlassen – pures Chaos ist programmiert. „Eine anarchische und warmherzige Familien-Komödie über Liebe, Toleranz und die vielleicht verrückteste Krankheit der Welt“, urteilt die Produzentin Wüste Film.

„Dies ist kein Film über das Tourette-Syndrom, sondern über das Lernen, sich anzunehmen, so wie man ist“, äußerte sich Rogenhagen. Tourette sei dabei das Mittel zum Zweck. Allerdings ein starkes Mittel, das aufgrund seiner Symptomatik ein Maximum an Toleranz von der Umwelt erfordere, denn: „Wer lässt sich schon gerne beschimpfen?“.

Der Film könnte in jeder Kleinstadt spielen, aber als ehemaliger Marler entschied sich der mittlerweile 45-jährige Regisseur (übrigens seit 1995 ebenfalls Grimme-Preis-Träger („The Final Kick“)) für die Stätte seiner Kindheit und Jugend. Natürlich hat sich einiges geändert seit seinem Weggang, und auch der Blickwinkel ist ein anderer, wenn er auf der Suche nach geeigneten Drehorten ist. Doch er nutzt seinen „Heimvorteil“: viele Szenen spielen in der Siedlung, in der er aufgewachsen ist. „Außerdem kann ich gelegentlich meine Kinder bei meiner Mutter abgeben.“ Die Marler Bürger, die er treffe, fänden es auch ganz toll, dass der Film in ihrer Stadt gedreht werde. Auch Produzent Björn Vosgerau fühlt sich „in Marl gut aufgehoben“, denn in Großstädten fühlen sich Anwohner oft genervt durch Filmarbeiten, beispielsweise, wenn Straßensperren erforderlich sind. Nicht so die Marler. Auch die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung begeistert ihn.

Der von der „Filmstiftung Nordrhein-Westfalen“ mit 500.000 Euro geförderte Film soll im Frühjahr des nächsten Jahres durch die „farbfilm verleih“ in die Kinos kommen.

Info Tourette-Syndrom. Bei den Betroffenen treten plötzlich sogenannte « tics » auf: das sind beispielsweise Schulterzucken, Mund-aufreißen, Augen-verdrehen und Grimassenschneiden sowie mitunter heftige Bewegungen. Viele schaffen es, das Auftreten der tics über Minuten bis zu Stunden aufzuschieben, bis sie einen für sich „sicheren“ Raum (meist die eigene Wohnung) erreicht haben, dort „entladen“ sich die tics dann häufig um so heftiger. Außerdem geben sie zusammenhangslos eigenartige Geräusche und aggressive sowie obszöne Wörter von sich.

Montag, 17. Mai 2010, 13:15 • Verfasst in Vest

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